„…noch einige Lanzen zu brechen“ – Jens Pichl über die Zukunft von eHealth

In unserer Interview-Reihe über die Zukunftsaussichtungen von eHealth in Pflege, Medizin und Gesundheit geht es heute mit Jens Pichl weiter.

Herr Pichl, für die meisten Experten ist eHealth alternativlos. Trotzdem sieht es in der Praxis oft anders aus. Was denken Sie: Wird sich eHealth in Pflege und Gesundheit in Kürze flächendeckend durchsetzen oder bleiben Pflege und Gesundheit Systeme, in denen Wandel nur schleichend seinen Durchbruch findet?

Die Frage ist, welchen Zeitraum Sie mit „in Kürze“ verbinden? 😉 Ich glaube nicht daran, dass wir in 1 bis 3 Jahren eine flächendeckende eHealth- Anbindung in Pflege und Gesundheit erleben werden. Im Hinblick darauf scheint mir unsere deutsche Gesetzgebung als zu träge. Zudem ist der Pflege- und Gesundheitsmarkt derart überreguliert, dass es nur langsam möglich sein wird, flächendeckend eHealth-Innovationen im Markt auszurollen.

Meiner Meinung nach sind hier zunächst noch einige Lanzen zu brechen, um weitläufig Nutzenverständnis und Akzeptanz herzustellen. Viele Produkte, deren Entwicklung man gegenwärtig beobachten kann, gehen meines Erachtens am Nutzen und der Praxis-Relevanz tatsächlich vorbei. Nicht jeder will, zumindest aktuell, eine App. Nur eine stark eingegrenzte Nutzergruppe bzw. Generation will dies. Wir haben sehr viele Insel-Lösungen.

Zudem stellt sich oftmals die Frage nach der Re-Finanzierung durch die Kostenträger. Meiner Meinung nach ist die Antwort auf diese Frage von sehr großer Relevanz für den Erfolg von flächendeckenden Lösungen. So lang jedoch Menschen bei den Kostenträgern und Entscheidungsgremien Funktionen und Positionen begleiten, die einer älteren Generation angehören, sind für eHealth-Lösungen noch einige Steine zu klopfen.

Am ehesten sehe ich noch Assistenzsysteme mit Anbindung an Dienstleistungen in der Pflege sowie telemedizinische Leistungen bei chronischen Erkrankungen, deren Nutzen mehrfach in Studien nachgewiesen wurde.

In welchem medizinischen Bereich sehen Sie den größten Nutzen von eHealth?  

Ich denke, an dieser Stelle muss man die verschiedenen Systeme bzw. Bereiche differenziert betrachten.

Ich sehe den großen medizinischen Bereich der Akutversorgung, der zunehmend durch Technik gestützt große Datenmengen produzieren wird, aus der zukünftig eine bestmögliche und individuelle medizinische Behandlung bzw. Therapie abgeleitet werden kann.

Ich sehe den ganzen Bereich um die telemedizinischen Anwendungen/ Telemonitoring im Bereich von chronischen Erkrankungen und Risikopatienten, bei denen zeitnah interveniert und mögliche schwerwiegende Komplikationen verhindert werden können. Und ich denke an die stark ländlich geprägten Regionen, die durch eine telemedizinische Anbindung eine Aufwertung und bessere medizinische Versorgungsstruktur erfahren.

Im Pflegebereich werden hoffentlich zunehmend elektronische & smarte Assistenzsysteme Einzug halten, die ein selbstbestimmtes Leben zu Hause weiterhin bis ins hohe Alter erleichtern. Ich denke dabei an smarte und sensorengestützte Wohnwelten mit Anbindung an Rufsysteme, Community-Plattformen, telemedizinische Servicezentren, die Koordinator- und Conciergefunktionen übernehmen etc.

Ich sehe den Bereich persönliche Gesundheitsdaten/ Selftracking zur Gesundheitserziehung und Gesundheitsprävention/ Coaching, bspw. in ein betriebliches Gesundheitsmanagement eingebunden. Im Hinblick auf eine massive Arbeitsverdichtung und im War for Talents sicher ein Ansatzpunkt um Wettbewerbsfähigkeit.

Wie arbeiten Sie persönlich daran, eHealth in das Pflege- und Gesundheitssystem zu integrieren?  

Momentan sehe ich meinen Tätigkeitsschwerpunkt in der Umsetzung der papierlosen Dokumentation, der Vernetzung der Inselkomponenten sowie in der digitalen Transformation von Geschäftsprozessen in Pflegeeinrichtungen, um deren Möglichkeiten für alle Beteiligten greifbar und nutzbar zu machen.

Als Einrichtungsleitung in der vollstationären Pflege ist mir persönlich sehr daran gelegen, die EDV-gestützte Pflegedokumentation nach dem Beikirch-Modell vollständig umzusetzen und die damit verbundenen Potenziale möglichst umfassend zu heben. Das gelingt gegenwärtig, zumindest in unserer Einrichtung, bereits seit 2016 schon gut. Als Manager der Mitarbeiter-Generationen sehe ich immer noch die größte Herausforderung darin, die älteren KollegInnen in Pflegeunternehmen auf die Reise der zunehmenden Digitalisierung mitzunehmen. Diese stoßen in den sich veränderten Arbeitswelten regelmäßig an ihre Grenzen. Darauf braucht es Antworten.

Ganz aktuell zum Beispiel, wurden die sehr komplexen Verwaltungs- und Dokumentationsanwendungen mit den teils langjährigen Bewohnerakten in Papierform zusammengeführt, um die tägliche Arbeit für alle Nutzergruppen möglichst ohne lange Suchzeiten zu ermöglichen, da alles an „einem Ort“ lückenlos auffindbar ist. In Zeiten stetig knapperer Ressourcen wird allein hierdurch ein erhebliches Zeitpotenzial freigesetzt.

Ein softwaregestütztes Dokumenten-Management-System (DMS) inkl. rechtssicherer papierloser Archivierung soll ausgewählt und implementiert werden oder eine digitale Personalakte ist aufzubauen, die zusätzlich aus Daten der Zeitwirtschaft, der Dienst- und Einsatzplanung, des Recruitings bzw. der Lohnbuchhaltung gespeist wird. Dazu braucht es bisher mehrere Anwendungen, die mit ihren Schnittstellen aufeinander angepasst werden müssen und dann erst viele selbstgebastelte Excel-Listen ablösen und Arbeitsprozesse verschlanken kann.

Weitere Prozesse sehe ich schwerpunktmäßig im Einkauf/Logistik sowie bspw. dem gesamten Personalmanagement: Stichwort Online-Recruiting & Bewerbermanagement, dem Onboardingprozess sowie in der Personalentwicklung.

Zur Person

Jens Pichl war von 2004, fast neun Jahre lang, primär im operativen Umfeld der damals noch jungen Telemedizin tätig. Sein Aufgabenspektrum reicht von telemedizinisch gestütztem Gesundheitscoaching über Aufbau- und Wachstumsprozesse im medizinischen Servicecenter und den technischen Customer-Support. Seit 2013 verfolgt und begleitet er die digitalen Veränderungs- und Entwicklungsprozesse in kleinen Klinikbetrieben bis mittelgroßen Pflegeeinrichtungen mit den Schwerpunkten EDV-basierte Pflegedokumentation, technische Pflegeassistenzsysteme sowie der schnittstellenübergreifenden Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Verwaltung, dem Personal- und Marketingbereich.

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