Weg von der Behandlung, hin zur Prävention von Krankheiten – Chris Berger über die Zukunft von eHealth

Die öffentliche und mediale Diskussion über die Zukunft des Gesundheitssystems wird immer intensiver. Wir haben dies zum Anlass genommen, um Experten aus dem Bereich eHealth dazu zu befragen. Heute ist Chris Berger vom bvitg dran.

Herr Berger, für die meisten Experten ist eHealth alternativlos. Trotzdem sieht es in der Praxis oft anders aus. Was denken Sie: Wird sich eHealth in Pflege und Gesundheit in Kürze flächendeckend durchsetzen oder bleiben Pflege und Gesundheit Systeme, in denen Wandel nur schleichend seinen Durchbruch findet?

Ich würde nicht behaupten, dass eHealth alternativlos ist, denn wir als Gesellschaft entscheiden ja, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen und Leitplanken der Digitalisierung zu Grunde liegen sollen. Während einige Länder sich zum Beispiel für ein Opt-out Verfahren bei digitalen Anwendungen entscheiden, ist der mehrheitliche Konsens in Deutschland für ein freiwilliges Opt-in.

Allerdings überwiegen die Vorteile und Potentiale der Digitalisierung des Gesundheitssystem bei weitem. Unnötige Doppel-Untersuchungen und Fehlmedikation können durch eine vernetzte Versorgung verhindert werden. Studien attestieren der Digitalisierung zudem ein Effizienzpotential von €39 Milliarden, sofern alle Versorgungsprozesse konsequent digitalisiert sind. In Deutschland produzieren wir immer noch einen Papierberg von 5 Milliarden Dokumenten (Rezepte, Arbeitsunfähigkeit, Arztbriefe etc.) die senkrecht gestapelt die Höhe des Mount Everests erreicht.

„eHealth rettet Leben“

Was man bei all der Diskussion oft vergisst: eHealth rettet Leben. Derzeit sterben in Deutschland pro Jahr knapp 30.000 Menschen aufgrund von wechselseitigen Wirkungen von Medikamenten. Rund eine halbe Millionen Krankenhauseinweisungen sind darauf direkt und indirekt zurückführen. Ein elektronischer Medikationsplan, der in der ePA hinterlegt ist, der Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen identifiziert, kann jeden dieser Todesfälle verhindern. Eine vernetzte Versorgung verbessert somit die Lebensqualität und steigert die Patientensicherheit enorm.

In der Gesellschaft und Öffentlichkeit gibt es zwar noch einige Vorbehalte, da Gesundheits- und Sozialdaten eben die intimsten Daten sind, die von uns existieren. Allerdings fragen sich zunehmend immer mehr Leute, wieso man im Jahr 2019 noch eine CD mit seinen CT/MRT-Befunden und einen schriftlichen Arztbrief in die Hand gedrückt bekommt, während man zu jederzeit an jedem Ort der Welt digital seine Bankgeschäfte abwickeln kann. Ein Umdenken findet somit langsam statt. 

Schaut man sich z.B. die Einführung der elektronischen Patientenakte in anderen Ländern an, so ist auch klar, dass die Nutzungsrate von digitalen Anwendungen nicht per Knopfdruck nach Einführung auf 100% steigt. Wenn die Anwendungen nutzstiftend und sinnvoll sind, dann werden die Patienten mittel- und langfristig diese auch aktiv nutzen.

Herr Berger, in welchem medizinischen Bereich sehen Sie den größten Nutzen von eHealth?

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem führt zu mehreren Entwicklungen: Die Aufhebung der Sektorengrenzen, die personalisierte Medizin und zu einem grundlegenden, systemischen Wandel von der Behandlung von Krankheiten hin zur Prävention bzw. Verhinderung von Krankheiten. In Zukunft werden alle, also die Patienten, Leistungserbringer, Leistungsträger und die Versorgungsforschung profitieren.

Die Zusammenführung und Auswertung heterogener Gesundheits- und Sozialdaten wird mit Hilfe von KI- und Big-Data-Anwendungen zur Ausrottung von seltenen Krankheiten führen. Bereits jetzt können KI-Anwendungen in der bildgebenden Diagnostik den Ausbruch von Krebs 5 Jahre vorhersagen, sodass man in Zukunft nicht mehr den Krebs bekämpft, sondern den Ausbruch verhindert. Das Potential für die Versorgungsforschung ist damit unbegrenzt.

Während die Patienten früher nur ein Glied in der Versorgung waren, rückt die Digitalisierung sie jetzt ins Zentrum der Versorgung. Als Herr seiner Daten, können sie zu jederzeit an jedem Ort Einsicht und Freigabe ihrer behandlungsrelevanten Dokumente erteilen. Diese werden dann intersektoral, also in der vertragsärztlichen Versorgung, den Kliniken und in der Pflege zum Einsatz kommen.

Auch die Leistungserbringer, also die Ärzte und Kliniken werden enorm profitieren. Durch KI-Anwendungen wird der Radiologe/Neurologe mehr Zeit für das Gespräch mit seinen Patienten haben. Telekonsile ermöglichen eine einfache Rücksprache mit dem Facharzt, während durch die Videosprechstunde die Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Besuch beim Arzt erspart. Durch KOM-LE kann dann auch in Zukunft der Vertragsarzt mit seinen Kollegen kommunizieren, ohne dabei auf WhatsApp, E-Mail oder Facebook zurückgreifen zu müssen.

Durch Maßnahmen wie Population Health Management wird ebenfalls die Qualität der Versorgung verbessert, da Versorgungslücken besser identifiziert werden und der Ausbruch von Grippewellen z.B. besser vorhersehbar ist. Letztendlich profitieren somit alle an der Digitalisierung des Gesundheitssystem.

Wie arbeiten Sie persönlich daran, eHealth in das Pflege- und Gesundheitssystem zu integrieren?

Zum einen fördere ich beruflich die vernetzte Versorgung, da ich als Referent Politik im bvitg (Bundesverband Gesundheits-IT e.V.) arbeite. Dort betreue ich alle gesundheitspolitischen Themen rund um die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), den Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI) und den Zugang zur und Anwendung in der Versorgung von digitalen Anwendungen. 

Quelle: bvitg

Zum anderen halte ich aber auch gerne in meiner Freizeit Vorträge auf Fachtagungen, Podien oder Ausschüssen, um über das Potential der Digitalisierung in der Versorgung und Forschung aufmerksam zu machen. Ich engagiere mich auch beim digitalpolitischen Verein #cnetz und betreue dort das eHealth Forum, um auch über den Tellerrand der Legislaturperiode Veränderungen anzustoßen und für ein Umdenken zu sorgen. Letztendlich gelingt die Digitalisierung nur im gemeinsamen Diskurs miteinander und nicht gegeneinander.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Berger!

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